Die geheimnisvollen Nasca-Linien

Über die Entstehung, die Bedeutung und den Erhalt der Geoglyphen von Nasca

Bei den Linien von Nasca (Líneas de Nasca) handelt es sich, soweit bis heute bekannt ist, um ca. 1.500 Geoglyphen auf einer Fläche von etwa 500 Quadratkilometern. Sie zeigen verschiedene Figuren, darunter Tiere, Pflanzen, menschenähnliche Gestalten, geometrische Formen und schnurgerade, kilometerlange Linien. Benannt wurden die Zeichnungen nach der Stadt Nasca, die hier ganz in der Nähe liegt. Die frühen Scharrbilder stammen aus der Zeit der Paracas-Kultur (700 v. Chr. bis 200 n. Chr.), die späteren aus der Nasca-Kultur. Nach der Nasca-Zeit (600 n. Chr.) wurden keine Geoglyphen mehr hergestellt. Seit 1994 gehören sie zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Die Kultur der Paracas

In der heutigen peruanischen Region Ica existierte von ca. 700 v. Chr. bis 200 n. Chr. die Paracas-Kultur. Die Paracas verfügten über ein umfangreiches Wissen zur Versorgung mit Trinkwasser und zur Bewässerung von Ackerflächen. Sie bauten Aquädukte und verwendeten bereits Guano als Düngemittel. Ihre Textilkunst aus Vicuña und Baumwolle gilt als die beste aller präkolumbianischen Kulturen. Ähnlich hoch wird ihre Töpferkunst eingeschätzt. Sie erstellten ästhetischen Formen, reichhaltig dekoriert mit tierischen, menschlichen und pflanzlichen Motiven. Auch ihre medizinischen Kenntnisse sind erwähnenswert. Die Paracas-Kultur gilt als eine der ersten Kulturen, die Schädelöffnungen in Lateinamerika durchführten, um z.B. Schädelverletzungen zu behandeln. In den Gräbern wurde eine große Anzahl von Schädeln mit Trepanationen (= operative Öffnung der Schädeldecke durch Bohren) gefunden, die im Bereich des Lochs mit Goldplatten bedeckt waren. Neben den medizinischen Eingriffen erfolgten auch kosmetische Maßnahmen. Ein verlängerter Schädel galt als Schönheitsideal und diente als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer höheren Klasse. Bei Säuglingen wurden Bretter und Lederbänder am Kopf angebracht, um ihn während des Wachstums in eine längliche Form zu bringen. 

Etwa ab dem Jahr 200 verschmolz die Paracas-Zivilisation mit der Nasca-Zivilisation. Die Nasca haben viele Fähigkeiten der Paracas übernommen und weiterentwickelt, unter anderen auch die Erstellung der Scharrbilder. Bei der Betrachtung der Geoglyphen stellen sich naturgemäß viele Fragen. Wie wurden sie angefertigt? Und wozu? Wie war es damals möglich, kilometerlange gerade Linien in den Boden zu scharren? Warum die enorme Größe vieler Scharrbilder? Warum wurden sie ausgerechnet hier in einer staubtrockenen Wüste angelegt? Für wen sind Bilder gedacht, die man vom Boden aus kaum sehen kann?


Karte
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Nazca oder Nasca?

Der traditionelle Name ist Nazca. Bei vielen peruanischen Ortsnamen wurde der offizielle Name geändert, indem das z durch s ersetzt wurde.
Das Gesetz Nummer 30118 aus 2013 stellt klar, dass die korrekte Schreibweise mit "s" erfolgt.

Es ist nicht verwunderlich, dass viele zum Teil abenteuerliche Theorien publiziert wurden. So soll es sich zum Beispiel um einen Landeplatz für Außerirdische handeln. Die Geolyphen könnten Nachrichten an die Außerirdischen sein. Deshalb sind die Zeichnungen so groß, denn sie müssen aus der Höhe gut erkannt werden. Und warum hätte man sonst in der damaligen Zeit das Bild eines Astronauten gezeichnet?

Erklärungsversuche

Entdeckt, oder besser wiederentdeckt, wurden die Zeichnungen vom peruanischer Archäologen Manuel Toribio Mejía Xesspe (1896-1983) im Jahr 1926. Er hielt die Linien für Reste
von Bewässerungskanälen und stellte seine Beobachtungen 1939 auf dem XXVII. Internationalen Amerikanistenkongress in Lima unter dem Titel „Acueductos y caminos antiguos de la hoya del Río Grande de Nasca“ (Aquädukte und alte Straßen im Becken des Rio Grande de Nasca) vor.

Als erster ernsthafter Erforscher der Nasca-Linien gilt Professor Dr. Paul Kosok von der Long Island Universität in New York. Er befasste sich vorwiegend mit den Bewässerungssystemen alter Kulturen. Seine archäologischen Forschungen zielten darauf ab, die prähistorische Bewässerung in den Tälern der peruanischen Küste zu erklären. 1939 kam er nach Nasca, erkannte aber schnell, dass die Linien zu flach waren, um als Teil eines Bewässerungssystems zu fungieren. 1941 fiel ihm auf, dass die Sonne am 21. Dezember, dem Tag der Sommersonnenwende, genau über einer schmalen Linie unterging. Das veranlasste ihn zu der Hypothese, dass die Zeichnungen von Nasca das "größte Astronomische Buch der Welt“ sein könnte. Vermutlich reichte das astronomische Wissen schon vor vielen Jahrhunderten aus, um aus der Beobachtung der Gestirne den jahreszeitlichen Wechsel oder sogar Sonnen- und Mondfinsternisse vorherzusagen.

Ab 1940 wurde Kosok von Maria Reiche unterstützt, die zu dieser Zeit am Nationalmuseum Lima beschäftigt war. Ab 1946 untersuchte Maria Reichel die Geolyphen in Eigenregie mit zum Teil spektakulären Aktionen. Sie ließ sich auf den Kufen eines Helikopters festbinden, um bessere Luftaufnahmen machen zu können. Bis ins Hohe Alter führte sie ihre Studien fort. Sie war überzeugt, dass neben den astronomischen auch kulturelle bzw. religiöse Aspekte berücksichtigt werden müssen. In Peru ist Maria Reiche heute eine Heldin. Neben der wissenschaftlichen Arbeit setzte sie sich intensiv für den Schutz und den Erhalt der Geoglyphen ein. Auf ihr kontinuierliches Drängen hin, wurden die Nasca-Linien im Jahr 1994 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.

Seit 1997 beschäftigen sich Wissenschaftler des deutschen archäologischen Instituts mit den Nasca-Linien. Sie brachten neue Gedanken in die Überlegungen ein. Demnach sollte man die Lösung der Fragen nicht in den Scharrbildern selbst suchen, sondern sich vielmehr mit der Kultur derjenigen beschäftigen, die sie erstellt haben. So könne man eventuell aus ihren Lebensumständen, ihren Traditionen, ihren technischen und künstlerischen Fähigkeiten Rückschlüsse auf die Scharrbilder ziehen. Auf den zahlreichen erhaltenen Keramiken und Textilien finden sich Tier-, Pflanzen- und Göttermotive ebenso, wie geometrische Muster und Figuren. Einige dieser Motive findet man auch in den Geoglyphen, zum Beispiel die Tierdarstellung. Sie gelten als Symbole für Regen, Wasser oder Fruchtbarkeit. Die Tierdarstellungen der Scharrbilder könnten also die gleiche Funktion erfüllen.

Eine andere Theorie vermutet, dass die damaligen Stammesführer einzelner Clans ein für sie typisches Motiv in die Erde scharren ließen, vergleichbar einem Familienwappen. Je größer und imposanter, umso mächtiger und reicher erschien der jeweilige Clan.

Maria Reiche Museum

Museo Reiche


Informationen über Maria Reiche und ihre Arbeit sind im Museum zu sehen. Auch ihr Grab befindet sich hier.

Für die direkte Verbindung zu den Göttern waren damals die Schamanen zuständig, die sich mit Meskalin aus dem San Pedro Kaktus (Trichocereus pachanoi) in Trance versetzten. Wie Maria Reiche bereits vermutete, könnten die Scharrbilder bei ihren Zeremonien eine wichtige Rolle gespielt haben, um bei den Göttern für Regen, Nahrung und Gesundheit zu bitten. Möglicherweise zeigten die Bilder das Wesen an, in die sich die Schamanen in Trance verwandelten und zeigten ihnen auf, wie sie wieder in die Gegenwart zurückfinden. Die meisten Figuren bestehen aus einer einzigen Linie, die sich niemals selbst kreuzt. Vielleicht sind es Wege ritueller Labyrinthe, auf denen man nahezu endlos lange entlang gehen konnte. Die abstrakten geometrischen Formen könnten einen heiligen Ort markieren, an dem sich eine große Anzahl Menschen gleichzeitig versammelt, um ihre Opfergaben an die Götter zu übergeben. Am schmalen Ende von Trapezen fand man Opferstätten in Form von Steingebäuden mit Resten von Muscheln, Früchten und Keramiken.

Die Wüste um Nasca war nicht immer so trocken wie heute. Etwa um 2.000 v. Chr. wandelte sich das Klima. Die Wüste dehnte sich kontinuierlich aus, die Ressourcen zum Überleben wurden immer knapper. Die Götter mussten nun immer dringlicher um Hilfe gebeten werden. Die Rituale wurden häufiger, möglicherweise wurden auch die Scharrbilder größer, damit die Götter sie zur Kenntnis nehmen und endlich Regen senden. Möglicherweise wurden neu verödete Flächen mit weiteren Scharrbildern versehen, um die Götter zu bitten, sie wieder in fruchtbares Land zurück zu verwandeln. Das könnte die enorme Fläche von 500 Quadratkilometern erklären.

Aussichtsturm
Auf der linken Seite der Panamericana das Objekt "Baum" und der von Maria Reiche errichtete Aussichtsturm.
Dieser ist inzwischen geschlossen. Er wurde ersetzt durch einen höheren Turm auf der anderen Straßenseite.

Flightmap
Flightmap


Aus der Luft

Aufgrund ihrer enormen Größe sind die meisten Figuren nur aus der Höhe erkennbar. Die größten Figuren haben einen Durchmesser von mehr als 200 Metern. Direkt an der Panamericana (Carretera Panamericana Sur) gibt es einen neuen Aussichtsturm (El Mirador De Las Líneas De Nasca). Von hier aus sind 3 Zeichnungen, "der Baum", "die Eidechse" und "die Hände" gut zu erkennen. Einige Objekte haben seit ihrer Entdeckung verschiedene Namen erhalten. Die "Hände" werden auf der Informationstafel am Aussichtsturm als "Kröte" (El sapo) bezeichnet. Der von Maria Reiche benannte Eulenmann (El hombre-búho) wurde durch Erich von Däniken zu einem Astronauten, um seine Theorie mit den Außerirdischen zu argumentieren.

Vom Flughafen "Maria Reiche Neuman" starten Rundflüge, die einen exzellenten Überblick ermöglichen. Man bekommt man einen guten Eindruck über die Vielfalt und die Größe der Objekte. Die Nummern der nachfolgenden Bilder entsprechen den Nummern in der Flightmap. Das als Heron Bird (Alcatraz) bezeichnete Objekt Nummer 11 haben wir leider nicht fotografieren können. Dafür aber die erst 2020 entdeckte Katze und ein weiteres, vermutlich noch nicht betiteltes Scharrbild.

Wal
1. Wal (ballena)

Trapeze
2. Trapeze (trapecios)

Eulenmann oder Astronaut
3. Astronaut (astronauta)

Affe
4. Affe (mono)

Hund
5. Hund (perro)

Kolibri
6. Kolibri (colibrí)

Spinne
7. Spinne (araña)

Kondor
8. Kondor (cóndor)

Seegras
9. Seegras (algas marinas)

Spirale
10. Spirale (espiral)

Pelikan
12. Pelikan (pelícano)

Papagei
13. Papagei (loro)

Hände
14. Hände (manos)

Baum
15. Baum (árbol)

Blume
16. Blume (flor)

Eidechse
17. Eidechse (lagarto). Die 1938 gebaute Panamericana durchschneidet das Objekt. Diese Eidechse hat sozusagen ihren Schwanz abgeworfen.

unbekannt
Scharrbild ohne (uns bekannten) Namen

Katze
Katze (felino)

Im Oktober 2020 gab das Peruanische Kulturministerium die Entdeckung einer 37 Meter langen Katzengeoglyphe bekannt.

Die Figur war kaum noch zu erkennen und drohte aufgrund ihrer Lage an einem steilen Hang und der Auswirkungen der natürlichen Erosion zu verschwinden. An Berghängen ist diese Gefahr erheblich größer als bei den Scharrbildern am Boden.

Aufgrund der stilistischen Merkmale wird die Geoglyphe der Paracas-Periode zugeordnet. Sie wurde gereinigt und konserviert.


Zur Technik

Die obere Schicht des Wüstenbodens ist eine rötlich-braune oder schwarze Kruste aus Ton, Eisen und Mangan, die sich im Laufe der Jahrtausende bildet. Die Geoglyphen entstanden durch Entfernen dieser Schicht bis auf eine Tiefe von 12 bis 15 Zentimeter, in Einzelfällen bis zu 30 Zentimetern. Die untere Bodenschicht ist kalkhaltig und von heller Farbe, so dass die Umrisse der Geoglyphen hell auf dunklem Grund erscheinen. Fast alle Zeichnungen wurden in der Ebene angefertigt, nur wenige an den Hängen. Da es hier vor Ort kaum Regen, kaum Wind und damit kaum Erosion gibt, blieben die Bilder über viele Jahrhunderte hinweg weitgehend unversehrt.

Die Symbole wurden wahrscheinlich hergestellt, indem man die gewünschte Figur zunächst in einer kleinen Version erstellt und maßstabsgetreu überträgt. Maria Reiche fand Vorzeichnungen auf kleinen, drei Meter großen Parzellen, die noch immer in der Nähe vieler größerer Figuren zu sehen sind. Die Vorzeichnung wurde dann in ihre Bestandteile zerlegt und vergrößert. Joe Nickell von der University of Kentucky hat in Anlehnung an diese Methode 1982 eine 134 Meter große Nachbildung des Nasca-Kondors auf einem Feld in Kentucky angefertigt. Es funktionierte. (vgl.: "The Nazca Drawings Revisited: Creation of a Full-Sized Duplicate"). Daraus ein kleiner Auszug: "Wir legen eine Mittellinie fest und lokalisieren Punkte auf der Zeichnung, indem wir ihre Koordinaten einzeichnen. Das heißt, dass wir auf der kleinen Zeichnung entlang der Mittellinie von einem Ende (dem Schnabel des Vogels) bis zu einem Punkt auf der Linie, der dem zu zeichnenden Punkt (z. B. einer Flügelspitze) direkt gegenüberliegt. Dann messen wir die Entfernung von der Mittellinie zum gewünschten Punkt. Eine bestimmte Anzahl von Einheiten auf der kleinen Zeichnung würde die gleiche Anzahl von Einheiten - größere Einheiten - auf der großen Zeichnung."

Auch für die Anfertigung runder Formen fand Maria Reiche eine Erklärung. Mit Hilfe eines an einem Felsen oder Pfahl verankerten Seils ließen sich leicht Kreise zeichnen. Komplexere Kurven konnten durch das Verbinden geeigneter Bögen erstellt werden. Als Beweis berichtet sie, dass es tatsächlich Steine oder Löcher an Punkten gibt, die Zentren für Bögen bilden.

Gerade Linien können mit einfachen Werkzeugen über große Entfernungen hinweg gezogen werden. Zwei Holzpflöcke, die als gerade Linie gesetzt wurden, dienten als Richtschnur für die Platzierung eines dritten Pflocks entlang dieser Linie. Eine Person visierte die ersten beiden Pfähle an und wies eine zweite Person an, den neuen Pfahl zu setzen. Dies konnte so oft wie nötig wiederholt werden, um eine nahezu perfekt gerade Linie von mehreren Kilometern Länge zu ziehen. Die Überreste einiger Pfähle, die an den Enden einiger Linien gefunden wurden, untermauern diese Vermutung.


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