Lebewesen

Die Systematik der Lebewesen: LUCA und die Domänen

LUCA (Last Universal Common Ancestor) ist nicht das erste Leben auf der Erde, sondern vielmehr die jüngste Form, auf die das gesamte bestehende Leben zurückgeführt werden kann.

Anders ausgedrückt: sämtliche Lebewesen, wie Pflanzen, Tiere und Pilze lassen sich auf eine einzige „primitive“ Urform zurückführen. Das bedeutet gleichzeitig, dass alle übrigen auf der frühen Erde vermutlich existierenden Lebensformen keine Nachkommen in der rezenten Welt bzw. in der jüngeren Erd- und Evolutionsgeschichte hinterlassen haben. Man geht davon aus, dass LUCA vor über 4,3 Milliarden Jahren gelebt hat. Die höchste Klassifizierungskategorie der Lebewesen ist die Domäne. Es werden drei Domänen unterschieden: Bacteria (Bakterien), Archaea (Archaeen) und Eukaryota (Eukaryoten). 

Zwei oder drei Domänen?

Neuere Untersuchungen gehen davon aus, dass der Ursprung der Eukaryoten innerhalb der Archaeen liegen könnte. 2010 wurden Sedimentproben in der arktischen Tiefsee zwischen Nordwesteuropa und Grönland aus 2.300 Meter Tiefe entnommen. Sie enthielten Hinweise auf bis dahin unbekannte Archaeen. Eine Forschergruppe der Universität Uppsala in Schweden untersuchten die DNA-Sequenzen und definierten eine neue Gruppierung von Archaeen, die sie nach dem Reich der nordischen Götter Asgard benannten. Sie enthält die nächsten prokaryotischen (=zelluäre Lebewesen ohne Zellkern) Verwandten der Eukaryoten. Möglicherweise sind die Eukaryoten aus einer Vorfahrenlinie der Asgardarchaeota hervorgegangen. Falls ja, würden die Eukaryoten ihren Status als Domäne verlieren und stattdessen den Archaeen zugeordnet.

Tree of life

Diese Grafik stammt aus Wikipedia: Phylogenetic_Tree_of_Life



Bacteria (Bakterien) [WOESE, KANDLER & WHEELIS, 1990]

Alle Bakterien sind Einzeller. Sie besitzen eine Zellmembran, die das Zellinnere umschließt. Die meisten haben zudem eine Zellwand, die die Zelle und die Zellmembran von der Umgebung trennt. Einen Zellkern besitzen die Bakterien nicht. Die äußeren Formen sind sehr unterschiedlich, so gibt es u.a. kugelförmige (Kokken), zylinderförmige (Bazillen) und spiralförmige (Spirillen). Die meisten Bakterien haben eine Größe von 1 bis 5 µm (Mikrometer). Das größte bisher bekannte Bakterium ist das fadenförmige Candidatus Thiomargarita magnifica mit einer Länge bis zu 2 cm. Bakterien vermehren sich asexuell durch Zellteilung.

Bakterien spielen auch für den Menschen eine wichtige Rolle, wie diese eindrucksvollen Zahlen zeigen:

  • Mundflora: etwa 10 Milliarden (1010) Bakterien leben im menschlichen Mund
  • Hautflora: ca. 1. Billion (1012) Bakterien befinden sich auf der menschlichen Haut
  • Darmflora: 1014 Bakterien aus mehr als 400 verschiedenen Arten sind im Verdauungstrakt anzutreffen, vor allem im Dickdarm. Dort bilden sie die Darmflora.

Unterschieden werden grampositive, gramnegative und gramunbestimmte Arten, also solche, die sich nicht eindeutig zuordnen lassen. Grampositive Bakterien haben eine dicke Zellwand, gramnegative eine dünne Zellwand und zusätzlich eine äußere Membran. Erkennbar wird diese Unterscheidung durch die sogenannte Gram-Färbung, eine vom dänischen Bakteriologen Hans Christian Gram (1853–1938) entwickelte Methode. Wichtig ist die Gram-Färbung bei der Diagnostik von Infektionskrankheiten. Grampositive und gramnegative Bakterien können oft nur mit unterschiedlichen Antibiotika bekämpft werden. 



Archaea (Archaeen) [WOESE, KANDLER & WHEELIS, 1990]

Wie Bakterien haben auch Archaeen keinen Zellkern, die Struktur der Zellen und deren Eigenheiten im Stoffwechsel unterscheiden sich jedoch deutlich. Aus diesem Grund werden sie als eigenständige Domäne beschrieben. Die meisten der bisher bekannten Arten haben sich extremen Bedingungen angepasst und leben unter hohen Temperaturen, sehr niedrigen oder sehr hohen pH-Werten, hohen Salzkonzentrationen oder unter hohem Druck. Die Eigenschaften lassen sich biotechnologisch nutzen. Methanogene (= methanbildende) Archaeen werden z. B. in der Gewinnung von Biogas eingesetzt. Bislang sind keine Krankheitserreger aus der Gruppe der Archaeen bekannt.

Sofern sich bestätigt, dass die Eukaryoten aus einer Vorfahrenlinie der Asgardarchaeota hervorgegangen sind, würden die Eukaryoten ihren Status als Domäne verlieren und stattdessen Asgard zugeordnet.

DPANN [RINKE et. al., 2013]
DPANN ist ein Akronym, das sich aus den Anfangsbuchstaben der ersten fünf entdeckten Gruppen zusammensetzt: Diapherotrites, Parvarchaeota, Aenigmarchaeota, Nanoarchaeota und Nanohaloarchaeota. Später wurden weitere entdeckt und der Gruppe zugeordnet. Aufgrund ihrer im Vergleich zu anderen Archaea geringeren Größe (nanometrisch) werden sie auch als Nanoarchaea oder ultrakleine Archaea bezeichnet. Viele Mitglieder zeigen neuartige Anzeichen eines horizontalen Gentransfers. Das bedeutet, das genetische Material wird nicht entlang der Abstammungslinie von einem Vorfahren zu einem Nachkommen übertragen, sondern von einem Organismus in einen bereits existierenden anderen hinein.

Euryarchaeota [WOESE, KANDLER & WHEELIS, 1990]
Kennzeichnend für die Euryarchaeota ist die Vielzahl von Gruppen, die als Extremophile an extrem ungünstige Lebensräume angepasst sind, darunter hitzeliebende (Hyperthermophile), säureliebende (acidophile Thermoplasmates), salzliebende (Halophile) und methanproduzierende Archaea.

Proteoarchaeota [PETITJEAN, DESCHAMPS, LÓPEZ-GARCÍA, MOREIRA, 2014]
Proteoarchaeota enthält zwei sogenannte Supergruppen, die TACK-Supergruppe und die Asgard-Supergruppe.

  • TACK [GUY & ETTEMA, 2011]
    TACK ist ein Akronym für eine Verwandtschaftsgruppe von Archaeen, die ursprünglich nur Thaumarchaeota, Aig­archaeota, Crenarchaeota und Korarchaeota umfasste. Auch diese Archaeen sind in verschiedenen Umgebungen anzutreffen, und sind ausgestattet mit verschiedenen Typen von Stoffwechseln.
  • Asgard oder Asgardarchaeota [ZAREMBA-NIEDZWIEDZKA et al. 2017]
    Diese winzig kleinen Asgard-Archaeen sind zweifellos Archaeen, aber ihre Genome enthalten ein Sammelsurium von Genen, die denen von Eukaryoten ähneln. Demnach könnte es einen gemeinsamen Vorfahren von Archaeen und Eukaryoten geben und damit wären dann die Eukaryota (und damit der auch der Mensch) ebenfalls der Asgard-Gruppe zugehörig. Noch ist diese Theorie umstritten. Forscher, die an der 3-Domänen-Variante festhalten gehen davon aus, dass es sich bei den "eukaryotischen Anteilen" um Verunreinigungen handelt. Die Verfechter der 2-Domänen-Variante weisen diesen Vorwurf zurück.



Eukaryota (Eukaryoten) [CHATTON, 1925]

Der Begriff Eukaryoten basiert auf den griechischen Wörtern "eu" (gut oder echt) und "karyon" (Kern). Die Domäne der Eukaryoten umfasst alle Lebewesen mit Zellkern, darunter Tiere (inkl. Mensch), Pflanzen und Pilze.
Eukaryoten können Einzeller oder mehrzellige Lebewesen sein. Ihre Zellen sind in der Regel um das 100- bis 10.000-fache größer als die von Archaeen und Bakterien. Zur  Sicherstellung der zellulären Abläufe sind die Zellen mittels Zellorganellen strukturiert. Zellorganellen sind abgrenzbare Bereiche einer Zelle, die besondere Funktion erfüllen, vergleichbar den Organen eines Körpers. Für die Struktur und die Form der Zelle ist das Cytoskelett (Zellskelett) zuständig. Es ist zudem verantwortlich für die aktive Bewegung der Zelle und für Bewegungen und Transporte innerhalb der Zelle. Eine weitere Besonderheit der Eukaryoten ist die Fähigkeit, aus derselben DNA-Information unterschiedliche Proteine herzustellen.
Das Kladogramm und die nachfolgenden Erläuterungen zeigen eine vereinfachte Darstellung, um die Stellung der Vielzelligen Tiere (Metazoa) einzuordnen. Es gibt zahlreiche alternative Kladogramme, die andere Bezeichnungen verwenden oder die Einordnung verschiedener Taxa, zum Beispiel Hemimastigophora, CRuMs, Provora oder Excavata anders interpretieren.


Diaphoretickes [ADL et al., 2012]
Die 2012 beschriebene Gruppe erhielt den Namen Diaphoretickes, nach dem griechischen Wort diaforetikés (verschiedenartig), da ihre Vertreter zahlreiche verschiedene Eigenschaften aufweisen.

  • Cryptista [ADL et al., 2018]
    Cryptista ist eine Gruppe von algenähnlichen Eukaryoten. Sie ist höchstwahrscheinlich mit den Archaeplastida verwandt.

  • Archaeplastida [ADL et al., 2005]
    Die zu dieser Gruppe zählenden Lebewesen betreiben Photosynthese, darunter Glaucophyta (ausschließlich im Süßwasser vorkommende Algen),  Rotalgen (Rhodophyta), Grünalgen (Chlorophyta und Charophyta) und die Landpflanzen (Embryophyta). Darüber hinaus gehört mit Rhodelphidia eine Gruppe begeißelte Lebewesen zu den Archaeplastida, die die Photosynthesefähigkeit verloren haben.

  • Hemimastigophora [FOISSNER, BLATTERER, & FOISSNER, 1988]
    Hemimastigophora ist eine Gruppe einzelliger eukaryotischer Organismen mit einer einzigen Familie, den Spironemidae, die erstmals 1988 identifiziert wurde. Gemäß LAX et al., 2018 stammen sie aus einer uralten Linie von Eukaryoten, die eine von allen anderen eukaryotischen Reichen getrennte Klade bilden. Sie sind möglicherweise mit den Telonemia verwandt.


  • Provora [TIKHONENKOV, MIKHAILOV, GAWRYLUK, BELYAEV, MATHUR, KARPOV, ZAGUMYONNYI, BORODINA, PROKINA, MYLNIKOV, ALEOSHIN & KEELING, 2022]
    Im Dezember 2022 wurde eine neue Supergruppe mit der Bezeichnung Provora beschrieben (vgl. Microbial predators form a new supergroup of eukaryotes). Diese Gruppe unterscheidet sich genetisch, morphologisch und verhaltensmäßig von anderen Eukaryoten. Sie besitzen eine komplexe Zellmembran, eine bauchseitige Mundkerbe und zwei Geißeln. Ein weiteres gemeinsames Merkmal ist ihre räuberische Lebensweise: Sie ernähren sich von anderen Einzellern. Daher werden sie auch als die "Löwen der Mikrobenwelt" bezeichnet. Strukturiert werden die Provora in zwei voneinander abweichende Gruppen: Nebulidia und Nibbleridia.

  • Haptista [CAVALIER-SMITH, 2015]
    Haptista setzt sich zusammen aus Centroheliozoa (einer großen Gruppe mobiler und sessiler Organismen, die im Süßwasser und im Meer vorkommen, vor allem in größerer Tiefe) und Haptophyta (einer Gruppe komplexer einzelliger Algen). Die meisten Arten leben im Meer, können in sehr großen Mengen auftreten und einen wesentlichen Teil des Meeresplanktons bilden.

  • Telonemia [CAVALIER-SMITH, 1993]
    Telonemia ist ein Stamm mikroskopisch kleiner eukaryotischer Einzeller. Sie sind weltweit in Meeresgewässern verbreitet, wurden aber auch im Süßwasser gefunden.

  • SAR [BURKI et al., 2008]
    Der Name setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben der drei enthaltenen Gruppen:
    • Stramenopiles oder Heterokonta [CAVALIER-SMITH, 1981] 
      Diese Gruppe besteht aus Lebewesen, die zwei unterschiedlich ausgebildete Geißeln besitzen. Zu ihnen gehören z.B. Gelbgrünen Algen (Xanthophyceae), Braunalgen (Phaeophyceae) und Kieselalgen (Bacillariophyta).
    • Alveolata [CAVALIER-SMITH, 1991] 
      Zu dieser Gruppe gehören komplexe einzellige Lebewesen, z.B. Dinoflagellaten (Dinoflagellata) und Wimperntierchen (Ciliophora).
    • Rhizaria [CAVALIER-SMITH, 2002] 
      Diese Gruppe umfasst ca. 12.000 Arten von einzelligen Lebewesen mit sogenannten Scheinfüßchen (Pseudopodien). Diese dienen dem Beutefang oder der Fortbewegung. Vertreter dieser Gruppe sind u.a. Kammerlinge (Foraminifera) und Strahlentierchen (Radiolaria).


Podiata [CAVALIER-SMITH, 2012]
Podiata ist eine Gruppe, die die Amorphea und die Organismen enthält, die der Gruppe CRuMs zugeordnet sind.

  • CRuMs [BROWN, 2018]
    CRuMs ist der Sammelbegriff für eine vergleichsweise kleine Gruppe, deren Bezeichnung sich aus den Anfangsbuchstaben der drei Ordnungen Collodictyonidae, Rigifilida und Mantamonadida zusammensetzt. Es handelt sich um mikroskopisch kleine Lebewesen, die als Einzelwesen nicht mit bloßem Auge erkennbar sind.

  • Amorphea [ADL et al., 2012]
    Amorphea ist der Oberbegriff für zwei völlig unterschiedliche Großgruppen, den einzelligen Amoebozoa und Obazoa.

    • Amoebozoa [LÜHE, 1913]
      Zu dieser Gruppe gehören einzellige Organismen mit einer meist amöbioden Gestalt, d. h. sie besitzen keine feste Körperform.

    • Obazoa [BROWN, 2013]
      Obazoa ist der Oberbegriff für Opisthokonta, Breviatea und Apusomonadida wobei "Oba" lediglich deren Anfangsbuchstaben darstellt.

      • Opisthokonta [CAVALIER-SMITH, 1987]

        • Holozoa [LANG et al., 2002]
          • Ichthyosporea [CAVALIER-SMITH, 1988]
            Ichthyosporea sind einzellige Lebewesen, die häufig als Parasiten leben, u.a. auf der Haut oder in Kiemen von Fischen, Fröschen und Molchen.
          • Choanozoa [BRUNET & KING, 2017]
            Choanozoa fasst die Kragengeißeltierchen und die Vielzelligen Tiere zusammen. Es zählen sämtliche Lebensformen dazu, die den Zelltyp der Kragengeißelzelle (Choanocyt) ausbilden oder deren Vorfahren wahrscheinlich einmal diesen Zelltyp ausgebildet haben.
            • Choanoflagellata (Kragengeißeltierchen) [KENT, 1880]
              Kragengeißeltierchen sind einzellige Lebewesen. Besonderes Merkmal ist ein „Kragen“ aus 30 bis 40 feinen, fadenförmigen Zellfortsätzen und eine einzelne Geißel, die über den Kragen hinausragt. Die Geißel dient frei schwimmenden Arten zum Antrieb und festsitzenden Arten dazu, eine Strömung zu erzeugen, um den Kragen-Zellfortsetzen die Nahrungspartikel zuzuführen.
            • Metazoa (Vielzellige Tiere) [HAECKEL, 1874]
              Das Reich der Vielzelligen Tiere umfasst mehr als 1,3 Millionen bekannte Arten. Schätzungen gehen davon aus, dass nur ein Bruchteil der Arten bekannt ist und die Gesamtzahl zwischen 10 und 20 Millionen liegen könnte.
        • Nucletmycea
          • Rotosphaerida [RAINER, 1968]
            Die Gruppe der Rotosphaerida besteht überwiegend aus kugelförmigen oder abgeflachten Amöben.
          • Fungi (Pilze) [LINNAEUS, 1753]
            Pilze sind sesshaft, können aber keine Photosynthese betreiben. Sie ernähren sich von organischen Nährstoffen ihrer Umgebung, die sie meist durch Abgabe von Enzymen löslich und für sich verfügbar machen. Nach heutiger Kenntnis sind die Pilze näher mit den Tieren als mit den Pflanzen verwandt. Zu ihnen gehören überwiegend Vielzeller, aber auch Einzeller wie die Backhefe.

      • Breviatea [CAVALIER-SMITH, 2004]
        Breviatea enthält mit Breviata anathema nur eine einzige einzellige Art.

      • Apusomonadida [KARPOV & MYLNIKOV, 1989]
        Apusomonadida ist eine kleine Gruppe von Flagellaten (Geißeltierchen).

Nicht zugeordnet (incertae sedis).

  • Excavata [CAVALIER-SMITH, 2002]
    • Zu dieser Gruppe gehören nur einzellige Organismen, die ausnahmslos begeißelt sind. Besonderes Merkmal ist der Zellmund, ein bestimmter Bereich der Zelle, an dem die Zellmembran Öffnungen zur Nahrungsaufnahme aufweist. Im Innern der Zelle angelangt, werden die Nahrungspartikel dann eingeschlossen und verdaut. Die Gruppe enthält eine Vielzahl von freilebenden und symbiotischen Formen und schließt einige wichtige Parasiten des Menschen wie Giardien und Trichomonas ein.
    • Analysen deuten darauf hin dass Excavata keine einheitliche natürliche Gruppe ist, sondern in mehrere Gruppen (Discobia, Metamonada und Malawimonada) aufgeteilt werden.